Lesung im Literaturhaus „Literaturhaus bringt Poesie in die Stadt“ am 20.07.2007

Wenn man keine Kinder hat und zu einer Lesung geht, in der Kinder die Gewinner eines Preises sind… ja, was erwartet man da?

Man kennt Filme, in denen Kinder in Theaterstücken auftraten und man erinnert sich an Kinder, die zu Geburtstagen der Großeltern oder zu anderen Festivitäten Gedichte aufsagten…
Alle Eltern waren hin und weg…
Auch wenn die Kinder hängen blieben oder der Text gestopselt daherkam.
Was natürlich trotzdem süß ist und allen, einschließlich mir, gefällt.

Völlige Überraschung für mich und völliges Neuland!

Kinder kaum älter oder genauso alt wie meine Nichten, lesen ohne Aufregung, so scheint es und vor allem gekonnt ihre Texte dem begeisterten Publikum vor – auch mir.

Was mich dann absolut erstaunt – wie es scheint, nicht nur mich – ist Julian Peterhausen, er spricht die längsten Gedichte und das auswendig (!) und mit einer sehr guten Betonung, was im Übrigen alle unwahrscheinlich gut machen.

Nachdem Dr. Reinhard G. Wittmann, der Leiter des Literaturhauses die Einleitung gesprochen hat, geht es los.

Aber zuerst erzählt er uns, worum es heute geht.

Alle Literaturhäuser Deutschlands – 8 an der Zahl – hatten eine Ausschreibung in die Zeitung gesetzt. Schüler und Schülerinnen sollten ein Gedicht einsenden. In München gingen ca. 210 ein, was eine Herausforderung darstellte. Die ausgewählten Gedichtschreiber nahmen an einer Werkstatt im Literaturhaus teil, die von Nico Bleutge geleitet wurde. Dann wurde der Gewinner ermittelt.
Lilith Kappelmann gewann den Preis.
Im Sommer bekommen die Literaturhäuser in Deutschland Werbeflächen gesponsert. Die Werbeagentur „Treibstoff“ liefert die Grafik und das Gewinnergedicht, wird auf einem Plakat an allen S-Bahnen und vielen anderen Stellen in München zu finden sein.
In den anderen Bundesländern gibt es ebenfalls Gewinner und der jeweilige Gewinner oder die Gewinnerin erhält ebenfalls den Plakatplatz in der dortigen Stadt.
Deshalb hieß der Wettbewerb: „Literaturhaus bringt junge Poesie in die Stadt“
Ein schönes Motto, wie ich finde.

Als erstes spielt „creme fresh“ auf, die laut „Süddeutsche Zeitung“ Münchner Hoffnungsträger 2006 ist, so steht es im Programmheft.
Anscheinend ist man sich nicht ganz einig, ob es nun Hip-Hop oder doch eher Rap ist, was crem fresh dem Publikum bietet.
Ich persönlich finde, es ist von beidem was dabei. Sie singen vom Großstadtdschungel. Der Text arbeitet mit tierischen Vergleichen, die auf uns Menschen zutreffen. So hieß es z.B. „Nicht wenige Goldesel entpuppen sich als Pleitegeier“, um nur einen Auszug zu nennen.

Bei dem Refrain: „Es gibt hier nichts zu sehen“, aus einem anderen Song wird das Publikum mit einbezogen.

In einem Lied wird die Stadt besungen, mit all ihren Eigenheiten, was textlich famos gelöst worden ist. Es wird viel mit Gegensätzen gearbeitet. Es handelt z.B. vom „Penner“ und vom Dreck auf den Straßen und gleichzeitig wird von operierten Nasen gesungen.

Das Thema Arbeitslosigkeit kommt ebenfalls nicht zu kurz. Und es ist wirklich witzig, wie die Band es versteht, immer wieder auf ihre aktuelle CD hinzuweisen, eingebettet in coolen Sound und kesse Sprüche.

Für den kleinen Saal im 3. Stock des Literaturhauses finde ich es allerdings etwas laut, aber ich nehme es gerne in Kauf.

Hier die Jungs bei der Arbeit:

'Enie van de Meiklokjes' von Aveleen Avide

Dann kommt Enie van de Meiklokjes auf die Bühne und liest Gedichte vor, die teilweise von den Kindern (bei den 14-jährigen sollte ich besser sagen, junge Damen) ausgesucht wurden und die Kriterien, warum sie gerade dieses Gedicht ausgesucht hatten, sind sehr erfrischend.

Enie las Gedichte wie „Der Erlkönig“, mit ihrer einzigartigen Stimme, mit zweifacher Betonung, mit der eines ängstlichen Kindes und der eines Mannes, der keine Angst kennt. Schaurig schön.

„Das Lied der Amsel“ war ausgesucht worden, weil eine Amsel auch bei schlechtem Wetter singt und wir Menschen uns daran ein Beispiel nehmen könnten. Anders gesagt, auch bei schlechtem Wetter dürften wir durchaus gute Stimmung haben.

Es folgen noch viele weitere Gedichte, quer Beet.

'Literaturhaus und SZ 20-210707 022' von Aveleen Avide

'Enie van de Meiklokjes, Nico Bleutge, Gewinnerin' von Aveleen Avide

Von links nach rechts:
Nico Bleutge, Moritz Schiller, Julian Peterhausen, Simon Gruber, Hanna Sommer, Elisabeth (?), Lilith Kappelmann

Dann kommt Moritz Schiller auf die Bühne.
Nico Bleutge meint zu seinem eingesandten Gedicht und zur Erfahrung mit ihm in der Werkstatt:
„Man merkt ihm seine Neugierde an, die sich auch in seinen Texten ausdrückt“.

Er liest eines seiner Lieblingsgedichte von Günther Stiller vor, in diesem Gedicht geht es um einen kleinen Mann der lügt. Moritz findet, das Gedicht stimmt einfach. Denn natürlich wird in dem Gedicht dargestellt, dass man mit Lügen nichts erreicht.

Dann liest er sein eigenes Gedicht vor: „Die Inge die schaukelt“
Witzig.

Simon Gruber:
Die Worte von Nico Bleutge zu seinem eingesandten Gedicht:
„Seine Texte erzeugen Leichtigkeit und Fröhlichkeit. Er findet für alles die passenden Worte.“

Er liest:
„Immer wenn ich fröhlich bin“ und
„Die Straßenlaterne“
In der Werkstatt war ein Thema, die Kinder sollten sich einen Gegenstand aussuchen und dazu ein Gedicht schreiben.
Simon hat sich eine Laterne ausgesucht und ich glaube jeder im Raum sieht sie vor sich, genau wie ich.

Als nächstes folgt Elisabeth – leider fällt kein Nachname und hernach bekam ich ihn auch nicht heraus.

Ihr Lieblingsdichter ist Robert Frost.
Nico Bleutge: „Bei ihren Texten entstehen sprachliche Blitzlichter und schwebende Worte.“

In ihrem ersten Gedicht geht es um „Worte“, es handelt vom Finden der Worte beim Schreiben.
Danach folgt „Liebe“ hier verbindet sie geschickt wunderschöne Worte, so z.B.
Regenschatz und Sternenblüte
Liebesfunkeln, Lichterzug.

Sehr schön kann ich da nur sagen.

Dann las wieder Enie van de Meiklokjes Gedichte, die von den Kindern ausgesucht worden waren.
Eines finde ich besonders schön, denn es ist witzig (anscheinend gefallen diese mir heute am meisten), darin geht es um einen Birnbaum und es ist immer wieder mit Dialekt unterlegt. Leider kann ich nicht schnell genug den Titel mitschreiben und so bleibt mir nur zu sagen, dass allseits gelacht wurde und es zu Heiterkeitsausbrüchen kam, da das Gedicht einen charmanten Witz hatte.

Enie kann in einem Gedicht auch ihren Berliner Dialekt einsetzen. Es handelt von einer Tür, die zuerst noch geschlossen war und dann plötzlich offen stand.
Ein Knaller.
Sehr humorvoll.

Julian Peterhausen:
Er war am weitesten angereist, denn er kommt vom Schliersee.
„Der Sommer ist vergangen“
und
„Der Prophet“
Wohlgemerkt, beides lange Gedichte und alles ist auswendig gesprochen.

Hanna Sommer:
Die Worte von Nico Bleutge über ihre Werke:
„Da ist schon eine richtige Dichterin am Werk. Sie hat schon ihren eigenen Ton gefunden.“

Sie liest drei Gedichte vor. In einem geht es um das Hören, Sehen und das Glück.

Lilith Kappelmann:
Nico Bleutge sagt über sie:
„Sie hat schon einen ganz eigenen Rhythmus. Sie lässt uns Dinge die wir alle kennen, hören und spüren, als würden wir es zum ersten Mal hören und spüren. Dann wiederum schreibt sie Poesie über uns unbekannte Dinge und es kommt uns alles so vertraut vor. Also sie deckt beide Gegensätze ab.“

Sie liest:
„Der Granatapfel“
„Der Wind“
Von den anderen beiden wird kein Titel genannt.
Aber es handelt einmal von: Eingesperrt – Ausgesperrt und das nächste von „Freiheit hat die Farbe Weiߓ.

'Literaturhaus und SZ 20-210707 034' von Aveleen Avide

Von links nach rechts:
Dr. Reinhard G. Wittmann – der Leiter des Literaturhauses, Lilith Kappelmann (Gewinnerin), dahinter ihre Mutter, Enie van de Meiklokjes und Nico Bleutge

'creme fresh' von Aveleen Avide

Nochmals die strahlende Lilith Kappelmann

Natürlich habe ich mit einigen der Kleinen die ganz groß waren jeweils ein kurzes Interview geführt.

Lilith Kappelmann, sie schreibt etwa seit ihrem 11. Lebensjahr Gedichte und ist jetzt 13 Jahre alt.
AA: „Hast du dich über den Gewinn gefreut?“
LK: „Ich habe mich sehr gefreut. Allerdings war ich selbst nicht so begeistert von meinem Gedicht und daher überrascht.“
AA: „Hast du denn deinen Gewinn gefeiert?“
LK: „Ja. Mit meinen Freundinnen und in der Klasse.“

Liebe Lilith, genieße deinen Gewinn!

Simon Gruber:
Er erzählt mir, dass er das eingesandte Gedicht mit 10 Jahren geschrieben hat und jetzt 11 Jahre alt ist.
Er sprach so süß bayrisch.
AA: „Wie kommst du auf die Ideen zu deinen Gedichten?“
SG: „Ich schreib´ halt drauf los und änd`re dann.“
AA: „Du liest deine Gedichte sehr gut. Was glaubst du, woher das kommt?“
SG: „Ich les` sie so gut, weil ich sie selbst geschrieben hab`“, kam die Antwort, aber meine Frage macht ihn wohl etwas verlegen, deshalb erlöse ich ihn gleich wieder.

Dann will ich natürlich unbedingt Julian Peterhausen interviewen und gehe auf die Suche nach ihm, nach meiner 2. Runde finde ich ihn.

AA: „Julian, du hast deine langen Gedichte auswendig gesagt. Das ist wirklich beachtlich. Wie kommt das?“
JP: Ich dichte abends, bevor ich ins Bett gehe und schreibe nichts auf. Ich dichte sie schon auswendig.“
AA: „Was?! Du dichtest sie alle im Kopf, ohne sie aufzuschreiben?!“
(Man höre mein Erstaunen! Denn das einzige was ich auswendig kann, sind meine Einkäufe, die ich zu erledigen habe. Ansonsten lebe ich nach dem Motto: Scriptum scriptum. Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.)
Sein Vater: „Inzwischen muss er alle Gedichte zumindest später in einen Laptop tippen, damit sie nicht doch irgendwann einmal vergessen werden.“
Dann meinte Julian noch zu mir: „Wissen Sie, am liebsten schreibe ich über Menschen und was sie so alles mit der Welt machen.“ Er denkt kurz nach.
„Der Prophet“, da bin ich drauf gekommen, weil jemand Hullahupp gespielt hat und da habe ich an den Kreislauf der Welt gedacht und wollte darüber schreiben.“
AA: „Seit wann schreibst du Gedichte?“
JP legt kurz seinen Finger an die Lippen und ich kann förmlich sehen, wie er nachdenkt. „Ich bin jetzt 10, ungefähr 2 Jahre.“
Sein Vater: „Schon länger.“
JP denkt wieder nach und meint: „Vielleicht so, seit ich 7 bin.“ Freimütig fügt er noch an: „Wissen Sie, wie ich zu dem Wettbewerb kam?“ Und erzählt gleich weiter: „Meine Lehrerin hat mir den Zeitungsausschnitt mit in die Schule gebracht und gemeint, ich sollte doch mitmachen.“

Julians Großmutter ist auch dabei und im Gespräch kommt heraus, dass Julian auch russisch spricht und das von seiner Großmutter lernt.

Als ich gehe, sehe ich Friedrich Ani bei Nico Bleutge stehen.

Zur nächsten „creme fresh“-Einlage bleibe ich nicht mehr, sondern setzt mich unten ins Literaturhaus, um meine Gedanken und Eindrücke zu Papier zu bringen. Ich bestellte mir ein Glas Rotwein dazu, hatte aber völlig vergessen, dass ich den letzten Bissen Essen gegen 13:30 Uhr verspeist hatte und es inzwischen ca. 22:00 Uhr ist.
Dann kommt Liliths Mutter vorbei und wir unterhalten uns noch ein wenig.
Ein sehr angenehmes Gespräch.

Der Wein tat seine leichte und angenehme Wirkung.
Muss ich dazu sagen, dass ich gar wundervoll schlief in dieser Nacht?

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